Predigt am Sonntag, 18. September 2011

 Mk 3, 31-35
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen Wir haben im Konfirmandenunterricht einmal die Frage gestellt: Wer ist euch am wichtigsten? - meistens lautete die Antwort: meine Familie. Und überhaupt, wenn man in Ungarn fragt, bekommt man sicher diese Antwort. Hören wir noch einmal den Predigttext (Mk 3, 31-35): 31 Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. 32 Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. 33 Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? 34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. Was ist für Jesus das Wichtigste? Wer ist für Jesus der wichtigste? - er scheint eine andere Antwort zu geben, als wir erwarten würden.... Jesus ist in einem Haus mit vielen Menschen: seinen Jüngern, interessierten und neugierigen Menschen - und lehrt und erzählt ihnen von Gott. Und da teilt man ihm mit, daß draußen seine Familie auf ihn wartet: seine Mutter, seine vier Brüder und ungenannte Schwestern. - Und Jesus entgegnet ihnen ziemlich schroff: Meine Mutter und meine Geschwister, das sind nicht die, die da draußen nach mir schicken lassen, sondern ihr hier: Wer mein Wort hört und Gottes Willen tut: das ist meine wahre Familie. Ist das ein Skandal? Zumindest sind es ungewöhnlich harte Worte. Eine Herabsetzung der eigenen Mutter. Ist Jesus gegen die Familie? Stellt er die Familie überhaupt in Frage? Was er da sagt, ist nicht gerade das, was wir unter christlicher Ethik und Moral verstehen! Doch warten wir einen Moment, und sehen, was da wirklich geschehen ist, wie es dazu kam. Wir lesen im Markusevangelium im dritten und vorigen Kapitel: Jesus ist aufgebrochen aus seinem Vatershaus. Er zieht durch die Gegend. Er heilt Aussätzige und Gelähmte und viele andere; er streitet sich mit den Gelehrten um Gottes Wort; er findet Anhänger und Freunde und beruft die Schar seiner Jünger; er redet und ißt mit Menschen, die damals tabu waren: Zöllner, Andersgläubige, Kranke, Prostituierte. Er fasziniert die Menschen, aber er macht sich auch Feinde. Und da wird es seiner Familie zu bunt: Mk 3, 21 Und als es die Seinen hörten, machten sie sich auf und wollten ihn festhalten; denn sie sprachen: Er ist von Sinnen. Sie halten ihn für verrückt, zumindest für völlig durchgedreht. Und jetzt kommen sie und wollen ihn wahrscheinlich nach Hause holen, so wie man einen ungezogenen Jungen vom Spielen bei Freunden oder aus der Schule holt. Und da sagt Jesus: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? 34 Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! 35 Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. Denn Jesus ist zwar der Sohn Marias und Josephs, er ist zwar der Mann aus Nazareth - aber er ist auch und noch viel mehr der Sohn Gottes, geboren in Bethlehem. Schon mit 12 Jahren - sie kennen die Geschichte - reißt er seinen Eltern aus und verschwindet. Sie finden ihn dann schließlich im Tempel. Jesus sagt: Dies ist meines Vaters Haus. Es wird immer wieder versucht, Jesus zu vereinnahmen: als das süße kleine Krippenkind, das so gemütliche Stimmung unterm Weihnachtsbaum macht; als der fromme Hirte, der darauf achtet, daß die Gläubigen immer schön in der Herde bleiben; als der strenge Lehrer, der moralische Regeln für das Leben aufstellt; oder auch als der Revolutionär, der zum Kampf der Unterdrückten aufruft - all das sind Bilder und Projektionen. Sie wollen Jesus in eine Schublade stecken und für die eigenen Ziele benützen. Aber Jesus ist der Sohn Gottes. Er ist frei. Er läßt sich nicht vereinnahmen und gebrauchen. Auch nicht von seiner Familie. Auch nicht von der Kirche. Jesus ist der Sohn Gottes. Er ist Gott selbst, als Mensch geboren - in eine Familie hinein. Er ist der Sohn der Maria. Aber er hat mehr als die vier Brüder, die wir namentlich kennen, er hat auch unzählige Schwester. Wir, die wir sein Wort hören, und alle, die Gottes Willen tun und seine Gebote zu halten versuchen, sind seine Schwestern und Brüder. Jesus ist unser Bruder - und deshalb dürfen wir Gott unseren Vater nennen. - Weil Gott Mensch geworden ist! Und das kann man nicht beschränken auf eine Familie, selbst wenn es die "Heilige Familie" sein sollte. Das ist zu wenig, zu eng. Gott eint alle Menschen, er will alle ansprechen und zu Jesu Geschwistern machen. Wundert es da noch, daß Jesus seine Mutter und Brüder zurückweist, die ja nichts anderes wollen, als daß er seinen Auftrag und seine Berufung aufgibt und still und ruhig in den Schoß der lieben Familie zurückkehrt? - Seitenwechsel - Auch wir kennen das vielleicht: die liebe Familie, die eigentlich ja nur das beste will für mich. In Ungarn ist die Familie sehr wichtig, oft steht sie an erster Stelle. Und ich will da auch nicht dagegen reden, denn was wären wir ohne unsere Familie? Gerade in schweren Zeiten, wenn wir einen geliebten Menschen verloren haben, wird die Familie zum Halt, den wir zum leben brauchen. Und das ist gut so. Auch in unserer Gemeinde ist die Familie sehr wichtig, deshalb bieten wir auch jeden Monat einen Familiengottesdienst an, wo alle gemeinsam feiern können. Aber manchmal wird eben vergessen, daß die Botschaft Jesu das Leben und die Gewohnheiten auch in Frage stellt, daß die Botschaft Jesu auch eine kritische Komponente, Richtung hat. Es geht nicht nur um die Familie, es geht um jeden einzelnen Menschen. Manchmal müssen wir die Familie auch verlassen, um unserer Berufunf folgen zu können. Jesus jedenfalls läßt sich von seiner Familie nicht von seiner Berufung abhalten. Wir freuen uns, wenn wir Kinder in unserem Gottesdienst taufen können. Wenn wir ein Kind taufen, dann sagen wir ihm und der Gemeinde und Familie: "Du bist ein Kind Gottes! Du bist auf Jesu Namen getauft und gehörst jetzt zu ihm!" - Das heißt, wir stellen dieses Kind unter Gottes Schutz. Das heißt aber auch noch mehr: dieses Kind ist nicht nur Kind seiner Eltern sondern Gottes Sohn oder Tochter. Es gehört zu Gott; seine Eltern sind nicht mehr allein für ihn oder sie zuständig; Gott erhebt Anspruch auf das Kind. Dazu sind die Paten da, die den Eltern im Namen Gottes reinreden dürfen und sollen; dazu ist die Gemeinde da, die die neue Familie des Kindes geworden ist. Ja, liebe Schwestern und Brüder, wir alle sind eine Familie, verbunden durch die Taufe und unseren gemeinsamen Vater, Gott und unseren Bruder Jesus. Wir haben nicht nur unsere leibliche Familie, sondern eben auch uns und die vielen anderen Christen in unserer Kirche, in allen Kirchen der Erde. Und es ist schön, wenn ich einen Christen aus einem anderen Land treffe und sagen kann: du bist mein Bruder, du bist meine Schwester! Es gibt natürlich auch Probleme, wie in jeder Familie. Und je größer die Familie, desto größer können auch die Probleme werden. Die Spaltung der Kirche zeigt das. Wir feiern unsere Gottesdienste getrennt von unseren katholischen oder orthodoxen Geschwistern. Und auch in unserer Gemeinde gibt es manchmal Schwierigkeiten: Oft kommen Leute zusammen, die eigentlich gar nicht zusammen passen: es gibt bei uns eher reiche und eher arme Menschen; Deutsche und Ungarn; Konservative und Liberale; wir wählen unterschiedliche Parteien und haben verscheidene Meinungen zu vielen Dingen. Aber wie unterschiedlich wir auch sein mögen, nun sind wir durch Jesus Christus alle Schwestern und Brüder geworden und können uns das nicht aussuchen. Und eines gilt ganz sicher: Keiner wird vor die Tür gewiesen!!!! Was uns zusammenhält ist eben das Wort Gottes, so wie Jesus damals zu den Menschen geredet hat, und die Gemeinschaft, die er uns durch seine Sakramente und seine Gegenwart schenkt. Gott ist unser Vater, weil jesus unser Bruder ist. Und er will, daß wir einander verstehen. Achten, ehren und lieben wir unsere Familie, unser Eltern und Kinder und Partner - aber vergessen wir dabei nicht, daß wir zu einer größeren Familie gehören! Das kann uns im Leben wirklichen Halt und Trost geben. Amen. Michael Heinrichs, 18. 09. 2011